Wie ist die Situation heute und wie hat
sie sich in den letzten Jahren entwickelt?
Vor einigen Tagen fand ich folgenden Artikel
in der Zeitung, bei dem ich durchaus Parallelen zum heutigen Thema entdecken
konnte:
"Wenn die Wärter zuviel lächeln:
Kulturschock in einem britischen Gefängnis
LONDON, 18. April. Mit Ausbruchsversuchen
der besonders eigenartigen Art hat das erste privat geführte Gefängnis
Großbritanniens zu leben, das Wolds Prison im nordenglischen Brough.
Eine Reihe von Häftlingen, zumal solche mit einer gewissen Lebenserfahrung
im Arbeitsbereich Kriminalität, haben in den vergangenen Monaten ganz
hochoffiziell um Verlegung in ein "normales" Gefängnis gebeten - weil
sie mit der allzu netten Atmosphäre in Wolds Prison nicht fertig werden.
Nach einem Bericht des englischen Chef-Inspekteurs für das Gefängniswesen
(...) beklagte ein Teil der Insassen den freundlich-kollegialen Umgang
zwischen Häftlingen und Bewachungspersonal, der die womöglich
gesunde Entwicklung einer gewissen Antipathie zwischen Schließer
und Eingeschlossenem verhindern würde.(...)"
Sind wir in den Verwaltungen schon so weit
? Oder lässt sich die Situation eher immer noch so charakterisieren,
wie es in dem hauseigenen Reform-"Blättchen" einer Berliner Verwaltung
anno 1994 bereits beschrieben wurde. Damals war man auf der Namenssuche
für dieses Organ auf den Vorschlag NESSI (in Anlehnung an: Neues
Steuerungs
System, so hieß die Verwaltungsreform in Berlin) verfallen
und stellte die Assoziation folgendermaßen her:
"(...) tauchen da nicht vor unserem geistigen
Auge erstaunliche Parallelen auf zwischen der als Neues Steuerungs- System
verpackten Verwaltungsreform und dem schottischen Fabeltier? Sind nicht
beide seit Jahrzehnten in aller Munde, in Sommerpausen immer eine Schlagzeile
wert - und doch von niemandem (zumindest in Berlin) je leibhaftig gesichtet
worden? Gleichsam mythologische Wesen beide, die in dunklen Pfuhlen einsam
ihre Kreise ziehen, überwabert von Nebeln der Konfusion, die ihre
Hälse dann und wann zum Erschrecken der Ahnungslosen jäh ins
Dämmern der Erkenntnis recken, als wollten sie rufen "Ich schwimme,
also bin ich!" (...) "Und die dann, kaum dass man sich ein Bild von ihnen
machen kann, wieder abtauchen in die Tiefen ihrer geheimnisvollen Fluten.(...)"
In der Rückschau wurde mir bewusst,
daß wir uns erst knappe 5 Jahre in der Verwaltungsreform befinden.
Mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit oder zumindest gut 10 Jahre, in
denen wir ungeduldig darauf brennen, endlich die (in der Reformtheorie)
geweckten Erwartungen in der Praxis umgesetzt zu sehen. Ja, die Anfangsphase
war ja wirklich so: frisch von der Grundlagenschulung, in einem allerorten
vorherrschenden positiven Reformklima, getragen von der allgemeinen Aufbruchstimmung,
wagten sich auch die Verwaltungsbibliotheken aus der Deckung. Erste selbstbewusste
Eigendarstellungen (Marketing!) wurden verfasst und man ging mit Elan an
die Umsetzung neuer Konzepte und Ideen.
Was ist daraus geworden ?
Ich spreche hier für den Arbeitskreis
Verwaltungsbibliotheken/Informationsvermittlungsstellen (IVS) Berlin. Als
wir in Vorbereitung dieser Veranstaltung fragten:" Wie steht es denn mit
den Erfahrungen der Verwaltungsbibliotheken mit der Reform?," da kam einhellig
die Meinung zutage: Es ist zu früh darüber zu berichten und -
eigentlich könnte man nur Negatives sagen:
- da ist von "übergestülpten"
Produkten die Rede
- von "Etikettenschwindel", wenn die Bibliothek
(wiedermal) im Zuge der Umstrukturierung im "Amt für Logistik und
Informationstechnik" als "Einkaufsservice Fachbuch" rangiert, aber die
Aufgaben und (Produkt-)Inhalte genau die gleichen bleiben. Verwaltungsreform?
- neue moderne Räume werden bezogen
und die Bibliothek erhält den langersehnten EDV-Anschluss und eigenen
PC, aber - die Standard-Software Access, auf der mühsam der Katalog
erstellt wurde, wird nicht mit-installiert. Verwaltungsreform?
- da wird der Durchführung einer Fragebogenaktion
zugestimmt, aber die Auswertung als "dienstlich nicht notwendig" eingestuft.
Verwaltungsreform ?
- der propagierte Abbau von Hierarchien
führt von vorher 2 Stufen zur Leitung nun über 4 Stufen und zurück.
Mehr Eigenverantwortung/Selbständigkeit der Basis ? Wer ist das ?
- alles wird unbürokratischer, Service-
und kundenorientiert in der modernen Informationsgesellschaft, aber es
braucht zweieinhalb Jahre Vorlauf für den Einbau eines CD-ROM-Laufwerkes
...
- Engagement ist immer noch eher nicht
erwünscht, bzw. lästig
Ganz zu schweigen von dem Dauerbrenner:
"Wie führe ich meine(n) Vorgesetzten?" Wer hindert eigentlich die
Führungskräfte seit 5 Jahren daran, ohne Gesetze ihr Führungsverhalten
zu ändern?
Die Reihe ließe sich noch endlos
fortsetzen.
Fazit: Ist NESSI wieder abgetaucht ?Diesmal
in den Strudeln der Einsparwelle?
Wir haben zwar festgestellt, dass jeder
Satz zu den "Errungenschaften" der Verwaltungsreform mit einem großen
ABER endet, ich denke jedoch, wir haben durch die Verwaltungsreform auch
eine ganze Menge an positiven Erfahrungen.
Angefangen bei Fortbildungen, in deren
Genuss wir sonst sicher nicht so leicht gekommen wären. Allerdings
besteht gerade hier eine immer noch schmerzhafte Diskrepanz zwischen dem,
was man uns als z.B. "richtiges und heute übliches" Führungsverhalten
in Seminaren vermittelt und dem, was wir in unseren Verwaltungs-Heimaten
vorfinden. Es ist, als ob es da "draußen" eine reale Welt gibt, in
der sich die Verwaltungsmitarbeiter als Privatmenschen tummeln, und als
ob sich beim Betreten des Dienstgebäudes auch der Eintritt in eine
andere Welt vollzieht, in der alles Wissen, Empfinden und Gebaren aus der
"Real-Welt" ausgeblendet wird.
Eine seltsame Spaltung vollzieht sich da,
die sich nicht zuletzt an unserem Job der INFORMATIONSVERMITTLUNG deutlich
machen läßt: im Privatleben nutzt man ganz selbverständlich
z.B. verschiedenste Medien um gewünschte Informationen zu erhalten,
im Dienst gibt es zweierlei Informationen: einmal die aus der Bibliothek
und dann noch die aus der EDV (sprich: IT-Stelle). Dass beide Datenbanken
das gleiche Thema bestreiten, nämlich die Informationsvermittlung,
ist eher ein (nur unter erheblichem Aufwand herstellbares) "Aha-Erlebnis".
Wir haben als Verwaltungsbibliotheken viel
gelernt: jede Menge neuer Begriffe aus dem breiten Wortschatz der Verwaltungsreform,
von A wie Abstrukturierung über K wie Kosten- Leistungsrechnung, NSM
Neues Steuerungsmodell und PK wie Produktkatalog (nein, nicht Papierkorb
ist hier gemeint), bis hin zu ZMS wie Zeit- und Mengenstatistik. Und -
wir haben gelernt, diese Begriffe (an den richtigen Stellen) für unsere
Interessen einzusetzen.
Wir haben an der breiten Diskussion um
den Stellenwert von Information und Kommunikation in den Verwaltungen und
zwischen den Verwaltungen teilgenommen und uns als Konsequenz daraus vernetzt.
1997 haben wir den Arbeitskreis Verwaltungsbibliotheken/IVS gegründet,
der sich u. a. wie folgt definiert:
"(...) Ein wichtiges Ziel der Arbeitsgruppe
ist die Optimierung der Dienstleistungen in den Verwaltungsbibliotheken
und Vermittlungsstellen. Die Erarbeitung von Konzepten in der Arbeitsgruppe
und die Diskussion über innovative Maßnahmen in einzelnen Mitgliedsbibliotheken
setzt Prozesse in Gang, die die einzelnen kleinen Einrichtungen alleine
gar nicht leisten könnten.(...)"
Die Verwaltungsreform hat uns allerdings
auch zusätzliche Schwierigkeiten beschert:
Sie hat Erwartungen geweckt und unseren
Blick auf die bestehenden Realitäten kritisch geschärft.
Die täglich erfahrene Kluft zwischen
Theorie und Praxis der Verwaltungsreform ist noch groß. Aber engagierte
Verwaltungsbibliotheken können beim Brückenbau aktive Hilfestellungen
geben.
Wie wünschen wir uns aber,
dass sich die Verwaltungsreform in der Bibliotheksarbeit niederschlägt
? Hier sind wir (wie immer) eher bescheiden.
Wir wünschen uns schlicht einer modernen
Informationsgesellschaft angemessene "Werkzeuge":
- zeitgemäße technische Ausstattung
für das ständig geschulte Personal
- Führungskräfte, die Innovation
und Initiative unterstützen, nicht blockieren
- klare Zielstellung und Auftrag für
Bibliotheksleistungen
- Messung der Leistungen durch kontinuierliche
Ermittlung des Bedarfs und der erbrachten Leistungen unter gegebenen Rahmenbedingungen
- Anpassung von Zielstellung und Ausstattung
anhand eben dieser o.g. Kriterien
- was vor Ort nicht erbracht werden kann,
wird extern durch Dritte (z.B. die Senatsbibliothek) beschafft, die ebenfalls
nach o.g. Kriterien arbeitet
Zukünftig, denke ich, geht es darum,
das Reformklima zu reaktivieren, bei dem NESSI es wagt, dauerhaft aufzutauchen.
Vielleicht ist das Wesen ja sogar eines Tages zu einem Landgang zu bewegen...