APBB
Erfahrungen von (Berliner) Verwaltungs-
bibliotheken mit der Verwaltungsreform 
von Sybille von Delius-Bätz

 
 
 
          Vortrag, sinngemäß gehalten anläßlich eines Kolloquiums zur   
          Verwaltungsreform bei der Festveranstaltung "50 Jahre Senats-     
          bibliothek Berlin" am 4. Mai 1999 in Berlin
 
Wie ist die Situation heute und wie hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt?

Vor einigen Tagen fand ich folgenden Artikel in der Zeitung, bei dem ich durchaus Parallelen zum heutigen Thema entdecken konnte:

"Wenn die Wärter zuviel lächeln: Kulturschock in einem britischen Gefängnis
LONDON, 18. April. Mit Ausbruchsversuchen der besonders eigenartigen Art hat das erste privat geführte Gefängnis Großbritanniens zu leben, das Wolds Prison im nordenglischen Brough. Eine Reihe von Häftlingen, zumal solche mit einer gewissen Lebenserfahrung im Arbeitsbereich Kriminalität, haben in den vergangenen Monaten ganz hochoffiziell um Verlegung in ein "normales" Gefängnis gebeten - weil sie mit der allzu netten Atmosphäre in Wolds Prison nicht fertig werden. Nach einem Bericht des englischen Chef-Inspekteurs für das Gefängniswesen (...) beklagte ein Teil der Insassen den freundlich-kollegialen Umgang zwischen Häftlingen und Bewachungspersonal, der die womöglich gesunde Entwicklung einer gewissen Antipathie zwischen Schließer und Eingeschlossenem verhindern würde.(...)"

Sind wir in den Verwaltungen schon so weit ? Oder lässt sich die Situation eher immer noch so charakterisieren, wie es in dem hauseigenen Reform-"Blättchen" einer Berliner Verwaltung anno 1994 bereits beschrieben wurde. Damals war man auf der Namenssuche für dieses Organ auf den Vorschlag NESSI (in Anlehnung an: Neues Steuerungs System, so hieß die Verwaltungsreform in Berlin) verfallen und stellte die Assoziation folgendermaßen her:

"(...) tauchen da nicht vor unserem geistigen Auge erstaunliche Parallelen auf zwischen der als Neues Steuerungs- System verpackten Verwaltungsreform und dem schottischen Fabeltier? Sind nicht beide seit Jahrzehnten in aller Munde, in Sommerpausen immer eine Schlagzeile wert - und doch von niemandem (zumindest in Berlin) je leibhaftig gesichtet worden? Gleichsam mythologische Wesen beide, die in dunklen Pfuhlen einsam ihre Kreise ziehen, überwabert von Nebeln der Konfusion, die ihre Hälse dann und wann zum Erschrecken der Ahnungslosen jäh ins Dämmern der Erkenntnis recken, als wollten sie rufen "Ich schwimme, also bin ich!" (...) "Und die dann, kaum dass man sich ein Bild von ihnen machen kann, wieder abtauchen in die Tiefen ihrer geheimnisvollen Fluten.(...)"

In der Rückschau wurde mir bewusst, daß wir uns erst knappe 5 Jahre in der Verwaltungsreform befinden. Mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit oder zumindest gut 10 Jahre, in denen wir ungeduldig darauf brennen, endlich die (in der Reformtheorie) geweckten Erwartungen in der Praxis umgesetzt zu sehen. Ja, die Anfangsphase war ja wirklich so: frisch von der Grundlagenschulung, in einem allerorten vorherrschenden positiven Reformklima, getragen von der allgemeinen Aufbruchstimmung, wagten sich auch die Verwaltungsbibliotheken aus der Deckung. Erste selbstbewusste Eigendarstellungen (Marketing!) wurden verfasst und man ging mit Elan an die Umsetzung neuer Konzepte und Ideen.

Was ist daraus geworden ? 

Ich spreche hier für den Arbeitskreis Verwaltungsbibliotheken/Informationsvermittlungsstellen (IVS) Berlin. Als wir in Vorbereitung dieser Veranstaltung fragten:" Wie steht es denn mit den Erfahrungen der Verwaltungsbibliotheken mit der Reform?," da kam einhellig die Meinung zutage: Es ist zu früh darüber zu berichten und - eigentlich könnte man nur Negatives sagen:

- da ist von "übergestülpten" Produkten die Rede

- von "Etikettenschwindel", wenn die Bibliothek (wiedermal) im Zuge der Umstrukturierung im "Amt für Logistik und Informationstechnik" als "Einkaufsservice Fachbuch" rangiert, aber die Aufgaben und (Produkt-)Inhalte genau die gleichen bleiben. Verwaltungsreform?

- neue moderne Räume werden bezogen und die Bibliothek erhält den langersehnten EDV-Anschluss und eigenen PC, aber - die Standard-Software Access, auf der mühsam der Katalog erstellt wurde, wird nicht mit-installiert. Verwaltungsreform?

- da wird der Durchführung einer Fragebogenaktion zugestimmt, aber die Auswertung als "dienstlich nicht notwendig" eingestuft. Verwaltungsreform ?

- der propagierte Abbau von Hierarchien führt von vorher 2 Stufen zur Leitung nun über 4 Stufen und zurück. Mehr Eigenverantwortung/Selbständigkeit der Basis ? Wer ist das ?

- alles wird unbürokratischer, Service- und kundenorientiert in der modernen Informationsgesellschaft, aber es braucht zweieinhalb Jahre Vorlauf für den Einbau eines CD-ROM-Laufwerkes ...

- Engagement ist immer noch eher nicht erwünscht, bzw. lästig

Ganz zu schweigen von dem Dauerbrenner: "Wie führe ich meine(n) Vorgesetzten?" Wer hindert eigentlich die Führungskräfte seit 5 Jahren daran, ohne Gesetze ihr Führungsverhalten zu ändern?

Die Reihe ließe sich noch endlos fortsetzen.

Fazit: Ist NESSI wieder abgetaucht ?Diesmal in den Strudeln der Einsparwelle?

Wir haben zwar festgestellt, dass jeder Satz zu den "Errungenschaften" der Verwaltungsreform mit einem großen ABER endet, ich denke jedoch, wir haben durch die Verwaltungsreform auch eine ganze Menge an positiven Erfahrungen. 

Angefangen bei Fortbildungen, in deren Genuss wir sonst sicher nicht so leicht gekommen wären. Allerdings besteht gerade hier eine immer noch schmerzhafte Diskrepanz zwischen dem, was man uns als z.B. "richtiges und heute übliches" Führungsverhalten in Seminaren vermittelt und dem, was wir in unseren Verwaltungs-Heimaten vorfinden. Es ist, als ob es da "draußen" eine reale Welt gibt, in der sich die Verwaltungsmitarbeiter als Privatmenschen tummeln, und als ob sich beim Betreten des Dienstgebäudes auch der Eintritt in eine andere Welt vollzieht, in der alles Wissen, Empfinden und Gebaren aus der "Real-Welt" ausgeblendet wird.

Eine seltsame Spaltung vollzieht sich da, die sich nicht zuletzt an unserem Job der INFORMATIONSVERMITTLUNG deutlich machen läßt: im Privatleben nutzt man ganz selbverständlich z.B. verschiedenste Medien um gewünschte Informationen zu erhalten, im Dienst gibt es zweierlei Informationen: einmal die aus der Bibliothek und dann noch die aus der EDV (sprich: IT-Stelle). Dass beide Datenbanken das gleiche Thema bestreiten, nämlich die Informationsvermittlung, ist eher ein (nur unter erheblichem Aufwand herstellbares) "Aha-Erlebnis". 

Wir haben als Verwaltungsbibliotheken viel gelernt: jede Menge neuer Begriffe aus dem breiten Wortschatz der Verwaltungsreform, von A wie Abstrukturierung über K wie Kosten- Leistungsrechnung, NSM Neues Steuerungsmodell und PK wie Produktkatalog (nein, nicht Papierkorb ist hier gemeint), bis hin zu ZMS wie Zeit- und Mengenstatistik. Und - wir haben gelernt, diese Begriffe (an den richtigen Stellen) für unsere Interessen einzusetzen.

Wir haben an der breiten Diskussion um den Stellenwert von Information und Kommunikation in den Verwaltungen und zwischen den Verwaltungen teilgenommen und uns als Konsequenz daraus vernetzt. 1997 haben wir den Arbeitskreis Verwaltungsbibliotheken/IVS gegründet, der sich u. a. wie folgt definiert:

"(...) Ein wichtiges Ziel der Arbeitsgruppe ist die Optimierung der Dienstleistungen in den Verwaltungsbibliotheken und Vermittlungsstellen. Die Erarbeitung von Konzepten in der Arbeitsgruppe und die Diskussion über innovative Maßnahmen in einzelnen Mitgliedsbibliotheken setzt Prozesse in Gang, die die einzelnen kleinen Einrichtungen alleine gar nicht leisten könnten.(...)"

Die Verwaltungsreform hat uns allerdings auch zusätzliche Schwierigkeiten beschert:

Sie hat Erwartungen geweckt und unseren Blick auf die bestehenden Realitäten kritisch geschärft. 

Die täglich erfahrene Kluft zwischen Theorie und Praxis der Verwaltungsreform ist noch groß. Aber engagierte Verwaltungsbibliotheken können beim Brückenbau aktive Hilfestellungen geben.

Wie wünschen wir uns aber, dass sich die Verwaltungsreform in der Bibliotheksarbeit niederschlägt ? Hier sind wir (wie immer) eher bescheiden.

Wir wünschen uns schlicht einer modernen Informationsgesellschaft angemessene "Werkzeuge":

- zeitgemäße technische Ausstattung für das ständig geschulte Personal

- Führungskräfte, die Innovation und Initiative unterstützen, nicht blockieren

- klare Zielstellung und Auftrag für Bibliotheksleistungen

- Messung der Leistungen durch kontinuierliche Ermittlung des Bedarfs und der erbrachten Leistungen unter gegebenen Rahmenbedingungen

- Anpassung von Zielstellung und Ausstattung anhand eben dieser o.g. Kriterien

- was vor Ort nicht erbracht werden kann, wird extern durch Dritte (z.B. die Senatsbibliothek) beschafft, die ebenfalls nach o.g. Kriterien arbeitet

Zukünftig, denke ich, geht es darum, das Reformklima zu reaktivieren, bei dem NESSI es wagt, dauerhaft aufzutauchen. Vielleicht ist das Wesen ja sogar eines Tages zu einem Landgang zu bewegen...